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14. Februar, 2018 — Eine wiedergefundene Privatbibliothek in der HAAB – Aus dem Besitz der Adele Schopenhauer
Am 25. August 1849 starb in Bonn Adele Schopenhauer, Tochter der damals berühmten Schriftstellerin Johanna, Schwester des damals noch unbekannten Philosophen Arthur, selber Künstlerin, Schriftstellerin und Hauptfigur des kulturellen Lebens Weimars im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts. Durch eine Schenkung an die Großherzoglichen Kunstsammlungen kamen ihre in Bonn aufbewahrten Kunstwerke und Bücher 1852 nach Weimar, während ihre Bücher aus der Jenaer Wohnung bei ihrem Patenkind, Wolfgang Maximilian von Goethe, blieben. Im Schenkungsvertrag (heute im Goethe- und Schiller Archiv) ist, unter den vielen Objekten, die noch in den Kunstsammlungen der Klassik Stiftung Weimar sind, auch eine Bücherliste zu finden.
Viele der dort verzeichneten Bücher sind heute in der HAAB aufbewahrt: so z.B. Adele Schopenhauers Exemplare ihrer eigenen Publikationen (Johanna Schopenhauers Nachlass (1839), Haus-, Wald- und Feldmärchen (1844), Anna (1845), Eine dänische Geschichte (1848), ihre Kopien der Zeitschriften, in denen sie publizierte (Frauenspiegel von Luise Marezoll, Chaos von Ottilie von Goethe) und die Sämmtlichen Schriften ihrer Mutter (1830–1834). In der HAAB befindet sich auch Adeles Exemplar von Goethes West-östlicher Divan (1819), das sie 1831 ihrer Freundin Sibylle Mertens-Schaaffhausen schenkte. Diese bedankte sich mit Victor Hugo, Les feuilles d’automne (1831), auf dessen Umschlag Adele wunderschöne Arabesken malte [siehe Abbildung]. Der Poetische Hausschatz des deutschen Volkes von O.L.B. Wolff (1846) und die Gedichte von Annette von Droste-Hülshoff (1844) mit einer rührenden Widmung von Adele an Sibylle, zeugen von der Freundschaft, die Adele Schopenhauer mit anderen Schriftstellern pflegte. Auch italienische Bücher über Kunst und über die patriotischen Bewegungen Italiens, die sie für ihre Schriften über die italienische Kunst und Politik (1844–1848) benutzte, befinden sich noch in der HAAB. Der Festkalender in Bildern und Liedern von Franz von Pocci und Guido Görres (1835-39), der ebenfalls aus ihrer Bibliothek stammt, hat sie sicher bei der Gestaltung ihrer eigenen Titelblätter und Arabesken inspiriert.
Die kleine Privatbibliothek Adele Schopenhauers (hier nur beispielhaft skizziert), die sich, dank des Schenkungsvertrags, rekonstruieren lässt, ist eine Bereicherung der historischen Bestände der HAAB. Sie ermöglicht einen interessanten Einblick in die kulturelle Welt einer außergewöhnlichen Frau.
Ein ausführlicher Bericht über diese Privatbibliothek findet sich in: Die Pforte, Veröffentlichung des Freundeskreises Goethe-Nationalmuseum, 13, 2016: 77-107
Francesca Müller-Fabbri
26. Januar, 2018 — Große Spaziergänge in die Bücherwelt – Eine Italienerin in der HAAB
Francesca Müller-Fabbri hat Kunstgeschichte in Genua und in Marseille studiert. Die Liebe führte die Italienierin 1999 zunächst nach Frankfurt/Main. Dort arbeitete sie als Lektorin für italienische Sprache an der Universität, gleichzeitig am Kunsthistorischen Institut. Annette Seemann (AS) sprach mit Francesca Müller-Fabbri (FMF), seit 2006 Benutzerin der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek.
AS: In Frankfurt benutzten Sie häufig die Universitätsbibliothek. War dieser Arbeitsort, an dem man viel Zeit verbringt, doch auch Lebensort?
FMF: Sie war sehr hässlich, aber doch auch praktisch. Viel Zeit zu verbringen, vermied ich. Die Seminarbibliothek war da viel besser. Und: Die Frankfurter Museen waren meine Freude. Frankfurt ist international.
AS: Dann kam Ihr Umzug nach Weimar, 2006, Sie hatten schon Kinder. Wie war das für Sie? Aus der Großstadt in die Provinz, gleichwohl Kulturstadt?
FMF: Das war ein Schock. Weimar war sehr klein und vor allem so stark auf Goethe fixiert. Mein Spektrum war weitaus weiter gefasst. Aber sofort habe ich die Bibliothek aufgesucht, das kurz zuvor eröffnete Studienzentrum. Sofort ging es mir besser. Alle waren freundlich, die Nutzer international. Man gelangte unmittelbar in einen Kreis von netten Leuten, mit denen man sich austauschen konnte. Bis heute.
AS: Wie benutzerfreundlich erleben Sie die HAAB im Vergleich mit anderen Bibliotheken?
FMF: Das ist so toll, dass wir neben den zweifellos schützenswerten historischen Büchern diesen riesigen Freihandbereich haben, wo wir uns, je nach Thema, links und rechts noch ganz andere als die ursprünglich gewünschten Bücher ausleihen wollen. Wir machen große Spaziergänge in die Bücherwelt ober- und unterirdisch und ich suche mir je nach Stimmung immer einen anderen Arbeitsplatz, im Parkbereich, im Erdgeschoss, im Lesesaal oder oben, bei den Büchern …
AS: Sie sind ja nicht nur bei Klassik und Romantik zu Hause und am Forschen, sondern auch im Mittelalter. Wie können Sie Ihre Forschungswünsche, Bücherwünsche hier erfüllen?
FMF: Tatsächlich ist zu Klassik und Romantik –Adele Schopenhauer ist mein Spezialthema – hier alles vorhanden, bravo! Wenn ich im Mittelalter arbeite, nutze ich die Fernleihe und spätestens nach zwei Wochen habe ich alles.
AS: Würden Sie sagen, dass die BibliotheksarbeiterInnen den Nutzerwünschen sehr entgegenkommen?
FMF: Solche MitarbeiterInnen gibt es sonst nirgends, so meine weiten Erfahrungen aus vielen Jahren. Und ich darf sagen: Über die Bibliothek hat sich mein Verhältnis zu Weimar dann ganz rasch zum Positiven geändert. Und ich kenne Bibliotheken in europäischen Großstädten, wo es ganz anders zugeht, geradezu so wie im Inferno. Ich sage jetzt gerade nicht, wo das so ist …
AS: Gibt es etwas, was sie besonders in Erinnerung haben, eine kleine Anekdote etc., was Sie mit der Bibliothek verbindet?
FMF: Zwei Dinge: Die MitarbeiterInnen haben mich nach der Entbindung mit meinem dritten Kind in der Klinik angerufen. Das ist das eine. Und dann, als eine Mähmaschine die Mohnblumen auf dem Grundstück ums Bauhausmuseum abschneiden sollte, habe ich diese mir erbeten und, da ich gerade auf dem Weg zur Bibliothek war, dort als Geschenk hinterlassen. Sie wurden in zahlreiche Vasen gestellt. Alle haben sich gefreut und mir im Lesesaal flüsternd Dank ausgesprochen.
Annette Seemann
17. Januar, 2018 — Michael Knoche und sein Buch »Die Idee der Bibliothek und ihre Zukunft«
Michael Knoche, bis 2016 Direktor der Herzogin Anna Amalia Bibliothek, stellte am 17. Januar um 18:00 Uhr im Bücherkubus der Herzogin Anna Amalia Bibliothek sein soeben im Wallstein Verlag erschienenes Buch »Die Idee der Bibliothek und ihre Zukunft« vor. Maria Socolowsky vom Vorstand der GAAB sprach mit dem Autor.
MS Schon als langjähriger Direktor der Herzogin Anna Amalia Bibliothek haben Sie sich in Vorträgen und Publikationen sehr stark dafür engagiert, dass wissenschaftliche Bibliotheken als Ort erhalten bleiben, an dem Wissen gesammelt und verfügbar ist. Welchen Grund gab es für Sie jetzt dieses Buch zu schreiben?
MK Ich werde selber oft danach gefragt, ob Bibliotheken auch in Zukunft noch gebraucht werden. Mit dem Buch habe ich versucht, darauf eine differenzierte Antwort zu geben. Ich höre immer wieder: Ist nicht das Wichtigste heute schon im Internet verfügbar? Ist die Bibliothek nicht nur noch ein schöner sozialer Ort, der bald wie manche Kirche in einen Konzertsaal, ein Restaurant oder Kino umgewandelt werden kann? Selbst Bibliothekare beginnen an ihrer Aufgabe zu zweifeln und nennen ihre Einrichtung nicht mehr »Bibliothek«, sondern – sehr gespreizt und etwas schief – »Kommunikations-, Informations- und Medienzentrum«. So geschieht das etwa an den Universitäten Stuttgart oder Konstanz. Mein Buch handelt davon, dass wissenschaftliche Bibliotheken eine Hauptaufgabe und eine gesellschaftliche Verantwortung haben, und zwar seit den ältesten Tagen von Ninive und Alexandria: die Verantwortung für die Verfügbarkeit des Wissens.
MS Für wen ist das Buch gedacht? Wen wünschen Sie sich als Leser?
MK Das Buch ist bewusst nicht als Fachbuch geschrieben und nicht in einem Fachverlag erschienen. Es soll alle ansprechen, die Bibliotheken lieben und/oder benutzen. Wenn ich mir darüber hinaus noch einen Leserkreis wünschen darf, der ja meistens, aber nicht immer mit den Bibliotheksfreunden identisch ist, dann sind das die Wissenschaftspolitiker. Denn es gibt in Deutschland keine klare Bibliothekspolitik. Für die einzelne Bibliothek wird die Aufgabe, das multiplizierte Wissen verfügbar zu halten, zur Quadratur des Kreises. Die Aufgabe ist nur lösbar, wenn aus den vielen einzelnen Bibliotheken ein System von Bibliotheken wird.
MS Welche Anregungen, welche Forderungen zum Erhalt und zur Nutzung wissenschaftlicher Bibliotheken sind Ihnen besonders wichtig?
MK Internet und Bibliothek dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Merkmale des Internets sind Flüchtigkeit, Nicht-Hierarchie, Ubiquität und Vernetzbarkeit von allem und jedem. Die Merkmale von Bibliotheken sind Dauer, Ordnung, Kontext und Konzentration. Gepriesen sei die Zeit, die über beides verfügt und es kombinieren kann. Das Signet des berühmten venezianischen Druckers Aldus Manutius aus dem Jahr 1502 zeigt einen Anker, um den sich ein Delphin windet. Das Bild passt gut in unsere Zeit: Der Delphin steht für die Geschmeidigkeit des Internets, der Anker für die Beständigkeit der Bibliothek.
MS Am 17. Januar um 18:00 Uhr stellen Sie Ihr soeben im Wallstein Verlag erschienenes Buch »Die Idee der Bibliothek und ihre Zukunft« im Bücherkubus der Herzogin Anna Amalia Bibliothek vor. Welche weiteren Buchvorstellungen planen Sie?
MK Zum Beispiel Buchpräsentation und Gespräch mit Jörg Paulus und Frank Simon-Ritz am 12. März 2018 in Bauhaus-Universität Weimar im Rahmen der LESARTEN und Buchpräsentation und Gespräch mit Ulrich-Johannes Schneider am 16. März 2018, 19:00 Uhr in der Universitätsbibliothek Leipzig.
Wer nicht aus dem Haus gehen und auch nicht lesen, sondern lieber hören will, kann eine Audiodatei des Autors zum Thema aufrufen: Deutschlandfunk vom 17.12.2017, 30 MinutenMS Herzlichen Dank für das Interview.
Weitere Veranstaltungen mit Michael Knoche über sein Buch »Die Idee der Bibliothek und ihre Zukunft«, das im Wallstein Verlag erschienen ist,
Die Idee der Bibliothek und ihre Zukunft
Montag, 12. März 2018 um 19:00 Uhr
Buchpräsentation und Gespräch mit Jörg Paulus und Frank Simon-Ritz
im Rahmen der LESARTEN
Weimar, Bauhaus-Universität, IKKM, Salon Dürckheim, Cranachstraße 47Freitag, 16. März 2018 um 18:00 Uhr
Buchpräsentation und Diskussion mit Ulrich-Johannes Schneider im Rahmen von »Leipzig liest«
Leipzig, UniversitätsbibliothekMaria Socolowsky
08. Dezember, 2017 — Neue edle Buchkunst als Geschenk für die Herzogin Anna Amalia Bibliothek
Bücher gemalt, handgeschrieben, oft auch auf handgeschöpftem Papier. Die 6. Buchkunst Weimar war für Freunde schöner Bücher ein Fest. 46 Buchkünstler aus ganz Deutschland präsentierten ihre Werke in der Schau, die die Weimarer Buchkünstlerin Gudrun Illert seit 2007 organisiert. Seit 2009 gehört es zur Tradition der Buchkunst Weimar, jedes Mal einen von der Sparkassen-Stiftung gestifteten Betrag für Ankäufe zugunsten der Herzogin Anna Amalia Bibliothek einzusetzen. Diesmal reichten 16 Buchkünstler – so viele wie – ein Werk zum vorgegebenen Thema »Das offene Buch – Perspektiven auf das Objekt« ein.
Zum Auftakt der 6. Buchkunst Weimar stellte der Direktor der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Dr. Reinhard Laube die von einer Jury ausgewählten Werke vor. Er dankte den Künstlern und den Spendern, zu denen diesmal auch die GAAB gehörte. Sie ermöglichte den Ankauf der Werke von Marlies Maehrle und Christian Ewald.
Marlies Maehrle aus Norddeutschland hat ihrer Edition »blauvogelbuch« das Gedicht von Robert Frost »fire and ice« in Buchkunst verwandelt und dafür mit Papier, Asche und Fäden »gespielt«. Sie freute sich über die Jury-Entscheidung: »Es ist schön zu wissen, dass das Buch in die Bibliothek kommt, zu Leuten, die etwas davon verstehen.«
Der gebürtige Thüringer Christian Ewald betreibt in Berlin die Köpenicker Katzengraben-Presse. In seinem für die HAAB erworbenen Werk » … mit Absicht Buch…« macht er Elementares wie Wasser, Erde, Feuer und Luft optisch und haptisch erlebbar. Er sagte: »Mir ist um die Elemente gegangen, um ihre Materialität. Die ist ein ungeschliffener Diamant. Da muss nichts funkeln.«
Es sind Buch-Kunst-Werke zum Schauen, Lesen und Fühlen, die jetzt ihren Platz in der HAAB gefunden haben.
Maria Socolowsky
10. November, 2017 — Als Jacob Grimm beinahe die Leitung der Großherzoglichen Bibliothek übernommen hätte
Bettina von Arnim (1785–1859) brachte den Vorschlag, Jacob (1785-1863) Grimm und seinen Bruder Wilhelm (1786-1859) an den Weimarer Hof zu holen, im Oktober 1838 bei ihrem Besuch Weimars ins Spiel. Ihre Bemühungen schildert sie in einem Brief an Wilhelm Grimm vom 5. Februar 1839. Darin heißt es: »[…] daß der Erbgroßherzog die große Sehnsucht habe, Weimar wieder emporzubringen und von welchem Nutzen es sein könnte, wenn ihr dort ungestört in den Archiven der Bibliothek arbeiten könntet usw. und noch anderes.« Offensichtlich standen die Brüder einer Berufung nicht ablehnend gegenüber, denn bei Bettina von Arnim heißt es weiter: »Habt Ihr noch immer Lust nach Weimar zu ziehen?« Letztlich zerschlug sich diese von der Großherzogin Maria Pawlowna beförderte Idee, die große Sympathie gegenüber den Grimms hegte, da ihr Gatte Carl Friedrich Komplikationen mit dem König von Hannover befürchtete.
Friedrich Wilhelm Riemer (1774–1845), Sekretär Goethes, seit 1812 Gymnasialprofessor und Bibliothekar, seit 1828 Oberbibliothekar der Großherzoglichen Bibliothek, der annehmen konnte, mit diesem Schritt aus seinem Amt gedrängt zu werden, hatte gegen diesen Plan natürlich Einwände. Am 24.1.1840 berichtet Friedrich Christoph Dahlmann (1785–1869) den Grimms vom Tod Riemers und bringt ein verlockendes Argument für die Übersiedlung der Grimms vor: »Blutwenig Amtsgeschäfte und eine doch immer achtbare Bibliothek zu Ihrem Gebrauche; der eigentliche Gehalt ist freilich nur 800 Thaler; Riemer hat auf anderem Wege mehr gehabt.« Dahlmann war als Politiker Mitgestalter der 1833 eingeführten liberalen Verfassung des Königreiches Hannover. Gegen die Aufhebung dieser Verfassung protestierten 1837 die Göttinger Sieben. Dahlmann war deren Anführer, die Grimms gehörten dazu.
Am 12. Dezember 1837 entließ Ernst August IV. (1771–1851), König von Hannover seit 1837, die sieben Professoren. Drei von ihnen – Friedrich Dahlmann, Jacob Grimm und Georg Gottfried Gervinus – verwies er sogar des Landes. Diese wurden dann 1840 vom preußischen König Friedrich Wilhelm IV. empfangen, der politisch Verfolgte teilweise rehabilitierte. Dort in Berlin übernahmen Jacob und auch Wilhelm Grimm wichtige Ämter. Die Nachricht von Riemers Tod erwies sich als falsch. Der Irrtum war offenbar nie bis zu den Grimms vorgedrungen. Denn in einem Brief vom 11. Juni 1841 erinnert sich Jacob Grimm: »Wäre ich vor zwei Jahren nach seinem [Riemers] Tode Bibliothekar in Weimar geworden […]«.
Roland Bärwinkel