Teil der Globensammlung der »Herzogin Anna-Amalia Bibliothek«

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  • 22. März, 2022 — Was die Deutschen lasen, während ihre Klassiker schrieben– Neuerwerbungen populärer Literatur um 1800 - Teil 3: Leihbibliotheken

    Wie aber gelangten die Leserinnen und Leser um 1800 an populäre Literatur? In der Herzoglichen Bibliothek Weimars sind sie in jedem Fall nicht fündig geworden. Wer nun aber weder das Geld besaß, die flüchtige und schnell zu konsumierende Lektüre selbst zu erwerben, noch jemanden im Freundeskreis kannte, der ausgelesene Exemplare weiter reichte, der wandte sich an eine sogenannte Leihbibliothek.

    Leihbibliotheken entstanden im späten 18. Jahrhundert. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts breiteten sie sich flächendeckend und in großer Zahl im deutschsprachigen Raum aus, wobei sie durch alle Gesellschaftsschichten hinweg beliebt waren. Oft wurden sie von Buchhändlern geführt. Für diese bedeutete das Verleihen gegen Gebühr oft ein lukrativeres Geschäft als der Verkauf der Bücher. Sie versorgten Lesehungrige mit Literatur und trugen gleichzeitig wesentlich zur Verbreitung populärer Literatur bei.

    In der 2022 von der HAAB erworbenen Sammlung Sangmeister finden sich einige Bände, die nachweislich aus Leihbibliotheken stammen. Das Buch »Juliette von Lüneville. Eine Geschichte aus der Zeit des letzten Friedensschlusses« von Joseph Alois Gleich aus dem Jahr 1802 trägt auf dem vorderen Innendeckel das Exlibris einer zeitgenössischen Leihbibliothek: »Alexander Czéh’s Leihbibliothek in Ungarisch-Altenburg«. Im 1793 anonym erschienenen Briefroman »Die bestrafte Kabale oder Henriettens glückliche Flucht aus ihrer Gefangenschaft. Eine wahre Geschichte dieser Zeit« ist noch ein alter Aufkleber zu erkennen: »Zur Leihbibliothek von Eduard Meyer in Cottbus No 1426«. Im Buch »Julie Lottwer oder Der schöne Harfner in der Räuberhöhle« von 1803 mit dem Exlibris »Buchbinderei und Leihbibliothek von Louis Eichner« in Schorndorf erfährt man etwas über die Bedingungen der Ausleihe. Hier findet sich der handschriftliche Vermerk »Es wird höflichst gebeten ein Buch nicht länger als 8 höchstens 14 Tage zu behalten!!!«

    Dass diese Bücher auf dem antiquarischen Markt eher selten anzutreffen sind, mag auch an ihrem Erhaltungszustand liegen. Er hat die Überlieferung in vielen Fällen sicher erschwert, bisweilen sogar unmöglich gemacht. Entsprechend sind die Bücher aus der Sammlung Sangmeister häufig im Wortsinn schiefgelesen, abgegriffen, bestoßen oder sogar gänzlich ramponiert. Für die Kunden der Leihbibliotheken war der Zustand eines Buches allerdings ein Qualitätsmerkmal: Je zerlesener, desto spannender! Der Autor und Bibliothekar Friedrich Matthison hat diese Beobachtung in seinem zeitgenössischen Epigramm »Die Leihebibliothek« festgehalten: »Staubig, doch sonst ohne Makel, sind Wieland und Göthe zu schauen. Aber an Kramer und Spiess haftet unendlicher Schmutz.«

    Claudia Streim Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Herzogin Anna Amalia Bibliothek

  • 10. März, 2022 — Was die Deutschen lasen, während ihre Klassiker schrieben – Neuerwerbungen populärer Literatur um 1800 Teil 2: Sammlung von Dirk Sangmeister

    »Agneß, oder das wunderbare Unglück. Eine wahre Geschichte«, von einem anonymen Autor 1800 veröffentlicht, »Heroine, oder Die schöne Griechin in Alexandria. Ein militärisches Schauspiel mit Gesang in drey Aufzügen« 1800 von Karl Friedrich Hensler auf den Markt gebracht, und »Sidney und Eduard oder Was vermag die Liebe? Ein Schauspiel in Drey Aufzügen« von Susanne Bandemer aus dem Jahr 1792. Sie alle sind Teil einer 87 Titel umfassenden Sammlung deutscher Unterhaltungsliteratur aus der ‚Goethezeit›. Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek erwarb sie im Januar 2022 von dem Germanisten Dirk Sangmeister. Mit dieser Sammlung wächst der Bestand an populärer Literatur aus der Zeit zwischen 1750 und 1850 weiter.

    Bereits im Jahr 2008 gelangten mit der Sammlung Manuel Frey 270 Titel von Autoren der Unterhaltungsliteratur aus der Zeit um 1800 in die Bibliothek. Zu ihnen gehörte auch der sehr erfolgreiche Schriftsteller Christian Heinrich Spieß. 2012 erwarb die HAAB 230 Bände deutscher populärer Literatur überwiegend aus dem 19. Jahrhundert, darunter auch Werke des erfolgreichsten Unterhaltungsschriftstellers um 1800: Carl Gottlob Cramer.

    Fast alle Titel der Sammlung von Dirk Sangmeister waren bisher noch nicht im Bestand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek verzeichnet. Auch in den Katalogen anderer Bibliotheken sind Exemplar-Nachweise dieser Titel selten. Dazu zählt das Buch »Lehrjahre der Liebe« von Friedrich Hanack, das 1804 veröffentlicht wurde. Ein Rezensent urteilte damals: »Dieser Roman ist von einer fast genialischen Leichtigkeit entworfen, fortgeführt, und geschrieben […].«

    Insgesamt finden sich neun Titel in der Sammlung Sangmeister, die sich über elektronische Kataloge weltweit in keiner anderen Bibliothek nachweisen lassen. Zum Beispiel die Anthologie »Neue Feyerabende oder kleine romantische Dichtungen zur angenehmen Lektüre für die elegante Welt«, die um 1805 von Gustav Geßner herausgegeben wurde. Zusammengestellt hat er darin Kurzromane und Erzählungen u.a. von Caroline von Wolzogen und vom Weimarischen Hofrat Friedrich Schulz. Auch das 1808 erschienene Buch »Die beiden Dichter. Posse in gereimten Versen in einem Aufzuge« von F. Hintze ist bislang in keinem elektronischen Katalog verzeichnet. Ein zeitgenössischer Bericht in der Zeitschrift « Der Freimüthige« beschreibt das Buch als eine »Farce« über die »literarische Fehde« zweier miteinander konkurrierender Schauspieldichter des Hannoveraner Theaters.

    Claudia Streim Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Herzogin Anna Amalia Bibliothek

  • 26. Februar, 2022 — Was die Deutschen lasen, während ihre Klassiker schrieben – Neuerwerbungen populärer Literatur um 1800 - Teil 1: Christian August Vulpius

    Der bekannte Erfolgsschriftsteller Christian August Vulpius, Bruder von Christiane und Schwager Goethes, war seit 1797 als Bibliothekar für die Erschließung und Bereitstellung von Büchern verantwortlich. Seine eigenen Werke gehörten allerdings nicht dazu. Sie waren zwar überaus populär beim Lesepublikum – vor allem seine Roman-Trilogie Rinaldo Rinaldini, die zahlreiche Übersetzungen und Auflagen erfuhr. Aber in institutionellen, fürstlichen Bibliotheken fand diese Art der als minderwertig geltenden Unterhaltung keinen Platz, auch nicht in Weimar.

    Erst in den 1920er und 1930er Jahren änderte sich der Blick auf diese einst so populären Texte. Und so fanden Vulpius’ Liebes-, Geister- oder Räuber-Geschichten, seine Operetten und historischen Dramen doch noch Eingang in die Sammlungen der Weimarer Bibliothek. Diese Erwerbungen werden bis heute fortgesetzt und das zu Recht. Denn erst durch diese Literatur abseits des Kanons bekommen wir ein deutlicheres Bild von der Epoche um 1800 und erfahren »Was die Deutschen lasen, während ihre Klassiker schrieben«, wie es Walter Benjamin im Titel eines Hörspiels von 1932 ausdrückte.

    Zwei Werke von Vulpius, die sich bislang noch nicht im Bestand befanden, konnte die Herzogin Anna Amalia Bibliothek im Februar 2022 erwerben. Bei dem ersten handelt es sich um »Gabrino. Einer der abentheuerlichsten Ritterromane, mit eben so abentheuerlicher Musik«, das 1786 bei Rellstab in Berlin erschien. Der Literaturwissenschaftler Alexander Košenina bezeichnet ihn als »erotisch-satirischen Operetten-Roman«. Er sieht darin ein neues Genre, das Vulpius geschaffen habe, nicht zuletzt dank der Gesangseinlagen mit Noten, um die er seinen Roman ergänzt hat. Vulpius nimmt deutliche Anleihen aus Ritterromanen, die er allerdings immer wieder ironisch wendet. Am Anfang des Romans steht die Entführung der sizilianischen Königstochter Zelminde, die ihren Entführer zur Erhaltung des Königreiches Sizilien heiratet und mit ihm einen Sohn hat: Gabrino, den Titelhelden. Eine lange Wanderschaft und unzählige Abenteuer später steht am Ende schließlich auch dessen Hochzeit.

    Das zweite Werk, das erworben werden konnte, ist »Der Schleier. Eine Operette in drei Aufzügen von C. A. Vulpius. In Musik gesetzt von E. W. Wolf«. Es erschien 1789 bei Johann Andreas Lübecks Erben. Feen, Prinzen, Zwerge und Geister bevölkern diese Operette. In Mittelpunkt steht ein zauberhafter Schleier, der einer wahren und tugendhaften Prinzessin ewige Schönheit verleiht. Mit ihm reist der Prinz Markomir nach Ägypten, auf der Suche nach einer schönen Frau, die ihm im Traum begegnet ist. Er findet sie in Prinzessin Bellamira, der er schließlich – nachdem er einige Gefahren überstanden hat – den Schleier aufsetzen kann.

    Claudia Streim Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Herzogin Anna Amalia Bibliothek

  • 16. Februar, 2022 — "Blühender Garten" im Bücherkubus der Herzogin Anna Amalia Bibliothek

    Tulpen, Hyazinthen, Narzissen und andere Frühlingsboten schmücken derzeit den Bücherkubus der Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Der Blumentisch »Jardin portatif« gehörte einst der Weimarer Großherzogin Maria Pawlowna (1786-1859). Er kam vermutlich 1820 in ihren Besitz.

    Die russische Zarentochter und Enkelin der Zarin Katharina die Große, heiratete 1804 in St. Petersburg Erbprinz Carl Friedrich von Sachsen-Weimar-Eisenach. Damit verbündete sich das kleine, relativ unbedeutende und verarmte Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach mit der Zarendynastie. Die war zu dieser Zeit eine der mächtigsten und reichsten Familien in Europa. Die russische Zarentochter brachte eine millionenschwere Mitgift mit nach Weimar – Juwelen, Gold, Edelsteine, Möbel, Porzellan und sehr viel Geld.

    Maria Pawlowna bewirkte, dass die Musiker Franz Liszt und Jakob Nepomuk Hummel an den Weimarer Hof kamen und Weimars »Silbernes Zeitalter« begann. Die Gründung der Sparkasse 1821 in Weimar geht ebenso auf ihre Initiative zurück wie die Gründung der »Großherzoglichen Landesbaumschule Marienhöhe« bei Weimar 1834.

    Maria Pawlowna galt als große Blumenfreundin. Seit ihrer Ankunft am Weimarer Hof im Jahre 1804 legte sie viel Wert auf floralen Schmuck in ihren Schlossräumen. Immer zu ihrem Geburtstag am 16. Februar wurde der Blumentisch mit »schön duftenden Hyacinthen, Jonquillen, Tulpen, Tazetten, Narzissen…« bepflanzt und im Stadtschloss aufgestellt. In den 1840er Jahren lieferte der Belvederer Hofgärtner Eduard Sckell zeitweise wöchentlich sechs bis zehn Hyazinthen, Tazetten und Primeln an das Weimarer Stadtschloss.

    Heute entsteht der »Stubengarten« in der Gärtnerei der Klassik Stiftung am Schloss Belvedere. Dort werden die teilweise rund 20 verschiedenen Frühjahrsblüher vorgezogen und in Szene gesetzt. Ein besonderer »Hingucker« sind in diesem Jahr die Wildalpenveilchen. Zugänglich ist der »Jardin portatif« zu den Öffnungszeiten des Studienzentrums der Herzogin Anna Amalia Bibliothek am Platz der Demokratie 4 vom 16. bis 26. Februar 2022 | 9 bis 20 Uhr. Der Eintritt ist frei.

    Maria Socolowsky GAAB

  • 21. Januar, 2022 — Mitglieder der GAAB stellen sich vor - Dietrich Kauffmann aus Wangen im Allgäu

    Als ich 1939 in Weimar geboren wurde, gab es natürlich die 1691 gegründete »Herzogliche Bibliothek«, die 1991 den Namen Herzogin Anna Amalia erhielt. Aber weder als Grundschüler in Weimar bis zum Familien-Umzug nach Jena im Herbst 1948 noch bis zu meinem Abitur 1957 in Jena hatte ich das Gebäude von innen gesehen. Das sollte erst Jahrzehnte später geschehen.

    Ab Sommer 1957 lebte ich familien-, ausbildungs-, und berufsbedingt an verschiedenen Orten in der Bundesrepublik Deutschland. Nach einem Jurastudium arbeitete ich zunächst in der Kommunalverwaltung in Eberbach am Neckar, ab 1972 im Rechtsamt der Stadt Düsseldorf. Von 1981 bis 2002 war ich im Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche im Rheinland in Düsseldorf tätig. Auf Urlaubsreisen lernte ich viele Bibliotheken in West- und Ostdeutschland, aber auch z. B. in Prag und in St. Gallen kennen. Besonders erinnere ich mich an Besuche der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig, der Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften in Görlitz, der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel sowie der Isnyer Prediger-Bibliothek im Allgäu. Mich faszinierten die historischen Gebäude und deren prachtvollen Innenräume mit ihren Bücherschätzen.

    Dann kam der 2. September 2004. Die Nachrichten über den Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek veranlassten, ja drängten mich als gebürtigen Weimarer, den Spendenaufrufen zu folgen. Am Tag der Wiedereröffnung der Bibliothek, am 24. Oktober 2007, unterschrieb ich den Aufnahmeantrag als förderndes Vereinsmitglied der GAAB.

    Ich habe seitdem immer wieder für verschiedene Projekte der Bibliothek gespendet – z. B. für die Restaurierung beschädigter Bücher und für das Modell des Turms der HAAB. Diese Bibliothek verdient es, unterstützt zu werden! Außerdem schätze ich das Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der HAAB sehr. Das Gleiche gilt für die im Vorstand und im Kuratorium der GAAB handelnden Personen. Die persönlichen Begegnungen bei Mitgliederversammlungen und den vielfältigen Veranstaltungen in Weimar sowie bei Exkursionen zu anderen Bibliotheken bereichern mich jedes Mal. Unvergesslich bleibt mir die Verabschiedung von Dr. Michael Knoche als Bibliotheksdirektor beim Festakt zum 325-jährigen Bestehen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek am 30. September 2016 im Deutschen Nationaltheater Weimar. Die Reden u. a. von Michael Knoche und auch die Musik waren überwältigend.

    Da ich seit November 2019 in Wangen im Allgäu lebe, komme ich nicht sehr oft ins rund 500 km entfernte Weimar. Ich nehme jedoch gern an möglichst vielen Mitgliederversammlungen und dem jeweiligen Rahmenprogramm teil. Bei jedem Besuch ist es für mich ein erhebendes Gefühl, in den Bücherkubus im Studienzentrum der Bibliothek zu kommen. Wie großartig ist dieser moderne Bau in das historische Schlossensemble eingepasst. Ob in der Bibliothek oder bei Exkursionen wie 2021 nach Jena – immer wieder freue ich mich, interessante Gespräche mit altbekannten und auch mit neuen Partnern führen zu können. Jedes Mal kehre ich bereichert aus Weimar an meinen jetzigen Heimatort zurück.

    2022 möchte ich an der Exkursion der GAAB nach Bamberg teilnehmen. Und ich möchte gern den Turm der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar besichtigen, den ich bisher nur von außen und als Modell kenne. Für die Bibliothek wünsche ich mir: Mögen die Restaurierungsarbeiten der in der Brandnacht beschädigten Bücher zügig und gut finanziert weitergehen und dafür immer wieder so hochmotivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie bisher gefunden werden. Und ich hoffe, dass noch mehr Menschen die Arbeit der Gesellschaft Anna Amalia Bibliothek und damit die Bibliothek unterstützen.

    Dietrich Kauffmann und Maria Socolowsky